Vom 12.- 22. April 2011 war Generaloberin Sr. Izabela Świerad in Begleitung von Sr. Maria Landsberger unterwegs in Jekaterinburg/Russland, um dort unsere Schwestern zu besuchen. Die 1,5 Millionen Stadt, nach Zarin Katharina (1684-1727) und der Hl. Katharina benannt, liegt an der Grenze zwischen dem Uralgebiet und Sibirien und gehört zum asiatischen Kontinent.
Als wir am 12. April um 5 Uhr morgens bei den Schwestern ankamen, schlug uns im Hauseingang überheizte Luft entgegen. Wir gewöhnten uns dann daran, in Sibirien zu schwitzen! (Das Heizungssystem ist nicht regulierbar – man muss die Fenster aufmachen). Die Außentemperatur von 8-15 Grad über Null war außerordentlich mild. Im letzten Jahr hatte es im April noch 17 Grad minus. Aber der Wind war kalt und ein dicker Anorak sehr angenehm.
Unsere Schwestern Katharina Gołub (aus der Ukraine), Karolina Słomińska (aus Polen) und Irina Cziczerowa (aus Russland) wohnen in einer einfachen, freundlichen Wohnung im achten Stock eines der typischen roten Hochhäuser. Wir machten zuerst einen Besuch in der Kapelle um Gott „danke“ zu sagen für unsere gute Reise. Dann bekamen Sr. Izabela und ich zur Begrüßung je eine edle rote Rose überreicht. Am frühen Morgen hatten wir ein ausgiebiges, festliches Frühstück, mit dem üblichen russischen Mayonnaise Salat.
Sr. Izabela kommt mit Russisch zurecht und die drei Schwestern sprechen alle russisch und polnisch. Sie erzählten, dass es in Jekaterinburg und einem Umkreis von 3 Autostunden nur eine katholische Pfarrei gibt. Sie wird von Pfr. Antonj und seinem Kaplan Vasily betreut. Die Schwestern sind die einzigen kath. Ordensleute in dieser großen Stadt, in der die russisch- orthodoxe Kirche als nationale Kirche präsent ist und viele schöne Kirchen mit blinkenden goldenen Kuppeln hat.
Nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Systems hatte Papst Johannes Paul II während unseres Generalkapitels 1992 bei einem Empfang der Kapitelsdelegierten die Generaloberin Sr. Maria Knaus gebeten, Missionarinnen zu senden, die Bischof Josef Werth SJ helfen sollten, die katholische Kirche in Sibirien wieder aufzubauen. Sr. Ingrid Schuler von der Deutschen Provinz war die erste Schwester, die dorthin ging, um den Bischof beim Aufbau der Kurie zu unterstützen. Bald danach reisten Schwestern unserer polnischen Provinz nach Jekaterinburg. Zusammen mit dem Priester versammelten sie damals 15 katholische Gläubige in der neuen Pfarrei. Diese ist bis heute auf etwa 250 Gemeindemitglieder angewachsen. Die winzige Kirche macht sich zwischen den Hochhäusern wie ein Puppenhaus aus und ist viel zu klein für die Gemeinde.
Wir durften den Glauben der katholischen Christen dort erleben und spüren, wie wichtig ihnen die Liturgie, die Beziehungen untereinander, die Zugehörigkeit zur Kirche sind. Während auf der Straße die Gesichter so ernst wirken – gezeichnet vom extremen Klima oder noch eine Auswirkung des repressiven Systems? – begegneten wir hier offenen, warmherzigen Menschen, einer wirklich lebendigen Gemeinde. Sr. Izabela wurde von mehreren Frauen und Jugendlichen angesprochen. Sie dankten ihr für die Präsenz der Schwestern und für unseren Besuch.
Pfr. Anthony kam zu einem Mittagessen zu uns und erzählte von der herausfordernden Situation, in der die katholische Kirche sich in Russland befindet. Orthodoxe Christen betrachteten sie als Sekte, und man könne von ihnen hören: „Wir sind Christen, ihr seid katholisch“ Es gebe keinen ökumenischen Dialog. Die katholische Kirche sei im Wachsen begriffen, sei aber darauf bedacht, nicht zu “missionieren” und verweise Interessierte zuweilen sogar zuerst an die orthodoxe Kirche. Aber mehr und mehr Jugendliche und Erwachsene suchten die katholische Kirche, träfen bewusste Entscheidungen, so der Pfarrer. – Die Kandidaten werden ein Jahr lang vorbereitet und an Ostern getauft. In diesem Jahr waren es 11 Erwachsenentaufen. Wir trafen Menschen, von denen wir bewegende Zeugnisse ihrer Glaubensfindung hörten.
Wir sahen die Einsatzgebiete unserer Schwestern: Sr. Katharina, die Oberin der kleinen Gemeinschaft, nimmt sich kranker, einsamer, älterer Menschen an. Sie besucht sie, bringt Nötiges mit, hält mit ihnen Kommunionfeier. Meist leben sie in erschreckend ärmlichen Umständen, besonders in den Dörfern. Dies konnten wir bei einer Krankenkommunion erleben. Es war eine Fahrt durch eine trostlose Landschaft: unterwegs sahen wir Müll und leere Wodka Flaschen an den Straßenrändern, heruntergekommene graue Hochhäuser oder kleine, fast unbewohnbare Holzhäuser, die einmal kunstvoll und schön gewesen sein mussten. Das „System“ hatte sich nicht um das Land und seine Leute gekümmert. – Wir begleiteten auch Sr. Karoline, die in einem abrissreifen alten Haus neben der Kirche Katechese gibt. Sr. Karoline ist sehr kreativ in ihrer Arbeit mit jungen Familien. Am Palmsonntag hatte sie einen Osterbazar organisiert, wo viele hausgebackene Osterlämmer und gebastelter Osterschmuck angeboten wurden. Der Erlös kommt einem Waisenhaus und der Sonntagsschule zugute. – Sr. Irina, die einzige Schwester aus Russland und noch in der Junioratsausbildung, arbeitet in Sakristei und Kirche und bäckt auch die Hostien. Sie hilft dem Kaplan bei einer Bibelgruppe und trifft sich mit jungen Frauen in einer Gruppe, in der sie über das pallottinische Charisma spricht. Sie ist die Kontaktperson für die Menschen, die zur Kirche kommen, oft nach einem langen Unterwegssein.
Die Tage bei den Schwestern gingen schnell vorüber. Aber wir fanden Zeit für Gespräche, für das gemeinsame Gebet und ausgedehnte Mahlzeiten. Die Schwestern zeigten uns auch besondere Sehenswürdigkeiten in Jekaterinburg, das eine moderne Universitäts- und Industriestadt ist. Wir sahen einen beeindruckenden Regierungspalast mit großartiger Fassade, gekrönt vom russischen roten Stern. Vor dem Gebäude steht eine überdimensionale triumphierende Lenin Statue. Eine der orthodoxen Kirchen wird die “Blutkirche” genannt. 1918 war die gesamte Zarenfamilie im Zug der russischen Revolution hier grausam umgebracht worden. (Erst 1992, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs durften die Russen außerhalb Jekaterinburgs, an der Stelle, an der die Leichen gefunden worden waren, ein Heiligtum bauen. Wir konnten diesen Ort besichtigen. Es ist eine Ansiedlung kleiner, malerischer Kirchen. Die Fülle von Blumen ist ein sprechendes Zeugnis dafür, dass viele Russen die Zarenfamilie als Volksheilige verehren.)
Gegen Ende unserer Reise besuchten wir Bischof Joseph Werth SJ in Novosibirsk. Der Flug ging über Moskau nach Zentralsibirien. Wir konnten mit dem Diözesanklerus und einer Gruppe von Ordensleuten an der Messe der Weihe der hl. Öle teilnehmen. Im Treffen mit dem Bischof erfuhren wir mehr über die Diasporasituation und die ökumenische Herausforderung, aber auch über wachsende Pfarreien und die Suche nach Gott in Russland. Wir wurden herzlich aufgenommen bei den Elisabeth Schwestern, die auch einige Besuche für uns organisierten, u.a. bei den Schwestern von Mutter Teresa. Wieder erlebten wir, wie Ordensleute und einzelne mutige MissionarInnen aus dem Westen sich dieser anspruchsvollen ökumenischen, politischen und klimatischen Wirklichkeit stellen.
Die Heilige Woche war in diesem Jahr ganz besonders für uns. Wir feierten die Liturgie des Palmsonntags und Gründonnerstags in der engen, überfüllten Kirche in Jekaterinburg, wo wir an der spürbaren Glaubensatmosphäre teilhaben durften. Als wir am Karfreitag wieder in Rom waren, „wussten“ wir wieder mehr, was es bedeutet, zur katholischen – weltumfassenden – Kirche zu gehören, einer Gemeinschaft der Hoffnung, die Menschen nah und fern miteinander verbindet.
Wir danken allen für die herzliche Aufnahme, besonders unseren Mitschwestern, die sich so viel Mühe für uns gemacht haben. Wir wünschen ihnen den Segen und die Kraft, dass jede ihre Sendung leben kann, mit dem Wagemut, der „von oben“ kommt.
Sr. Maria Landsberger, SAC